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Marxistischen Aktion Schweiz

Schweizer Sektion der Liga für die Fünfte Internationale

Die schweizer Palästina Bewegung an einem Wendepunkt

Es wird den aufmerksamen Leser:innen nicht entgangen sein, dass die kurz nach dem Gedenktag an die Nakba am 15. Mai 2025 beginnende israelische Offensive, “Gideon's Streitwagen” den Fortgang des Genozids an den Palästinenser:innen in voller Härte bedeutet. Scheinbar aus dem Nichts ist die Kritik an der israelischen Kriegsführung wieder und scheinbar stärker denn je seit Oktober 2023 in den Diskurs der herrschenden Klasse Westeuropas und Nordamerikas geraten. Die Aussagen von Friedrich Merz bspw. “Dass, was die israelische Armee jetzt im Gazastreifen macht, ich verstehe offen gestanden nicht mehr, mit welchem Ziel” (Tagesschau, 26.5.) steht nur Stellvertretend für die Haltung eines grossen Teils der herrschenden Klasse Deutschlands, der Schweiz und anderer westlichen Staaten: Israel handelt zwar völlig irrational, doch soll dies keine Konsequenzen auf die praktisch bedingungslose Unterstützung haben. 


Im letzten Monat haben sich die Ereignisse überschlagen. Die “Präventivschläge” Israels auf den Iran am 13.6., welchen ein andauernder Schlagabtausch durch Raketenangriffe der zwei Staaten aufeinander folgte, beweist praktisch die logische Konsequenz der Stellung Israels als Vorposten der USA in der Region. Sofort versammelten sich die US und ihre Verbündeten (Deutschland etc.) wieder hinter dem “Existenzrechts Israels” und dessen “legitimer Selbstverteidigung”. Da das iranische Regime trotz massiver Sanktionen des Westens diesem keine Zugeständnisse in der Einstellung ihres Atomwaffenprogramms machen wollen, sind die hegemonialen imperialistischen Mächte zu einer solchen Eskalation bereit. Eine solche Eskalation, welche droht, die gesamte Region in den Krieg zu stürzen und die USA im Iran zu binden ist auch keine Novum in den letzten 20 Monaten. Schon letztes Jahr wurde u.a. die iranische Botschaft in Damaskus beschossen - eine Reaktion Irans war vorprogrammiert. Seither ist das Assad-Regime in Syrien gefallen und Israel konnte darin ein “Bufferzone” einrichten, ergänzend zu den Golanhöhen, das syrische Gebiet, welches seit 1967 von Israel besetzt wird. Noch immer besetzt die IDF einen Teil des Libanon, Monate nach deren geplantem Abzug.


Seither wurde die Palästina Bewegung in der Schweiz wieder revitalisiert und ihre Mobilisierungsfähigkeit hat sich vergrössert. Am 17.5. in Basel, dem 24.5. in Bern und 12.6. in Zürich nahmen tausende an unbewilligten Demonstrationen teil, welche sich standhaft gegen Versuche der Polizei stellten, diese aufzulösen. In Lausanne und Genf wurden am 9.6. Bahnhöfe blockiert und die Palästina Bewegung war in der ganzen Schweiz am feministischen Streik präsent. Diese Proteste stellen praktisch überall auch eine klare Eskalation der Methoden der Bewegung dar. 


Unter dem Windschatten des bürgerlichen Diskurses und aller Wahrscheinlichkeit nach auch dem Druck der palästinasolidarischen Basis haben sich die reformistischen Massenorganisationen (SP, Gewerkschaftsbund) sowie bürgerliche Organisationen (Grüne, Amnesty International etc.) zusammenraffen können, endlich tatsächlich für die palästinensische Sache zu mobilisieren - auch wenn es ihnen damit nur eine Rückkehr zum Status Quo vor dem Oktober 2023 geht, nicht um die Selbstbestimmung der Palästinenser:innen, nicht um den Abbau der Apartheid, den Boykott etc. Es ist richtig und wichtig dies zu kritisieren, und die bestehende antizionistische Palästina Bewegung muss sich bewusst der Aufgabe stellen, die Mobilisierungskraft dieser zionistischen Organisationen zu nutzen und damit den Rahmen der Agitation für die palästinensische Sache zu erhöhen. 


Als Marxist:innen in der Schweiz können und dürfen wir die Palästina Bewegung nicht als eine isolierte Ein-Themen-Kampagne betrachten. Wir müssen sie im Kontext des grösseren schweizer Klassenkampfes verstehen. Die Massenorganisation der SP, einer bürgerlichen Arbeiter:innenpartei, hätte ein enormes Potenzial nicht nur (oder unbedingt) in der Mobilisierung einer breiteren Masse für grössere Demos - so gut das wäre - sondern sie hat sich durch ihre Integration in die Strukturen des bürgerlichen Staates einen nicht zu unterschätzenden Einfluss erlangt. In der Konkordanz trägt die SP zwar die Politik des schweizer Staates mit, doch da Cassis ein FDPler und kein SPler ist, können sie den Aussenminister als Individuum frei kritisieren. Dass die SP überhaupt willig ist, an einer solchen Demonstration teilzunehmen - oder sie gar zu organisieren - hat fast zwei Jahre des intensiven Genozids in Gaza und der permanenten Mobilisierung unserer Bewegung gefordert - es ist kein gewollter Schritt der verräterischen, bürgerlichen SP-Führung.  Die weiteren Implikationen der SP als staatstragender Partei lassen sich auch in ihrer Position gegenüber dem Iran erkennen. Im Sinne ihrer “humanitären”, “völkerrechtlichen” Position hat die SP zwar schon lange das Vorgehen der israelischen Regierung kritisiert und konnte sich zur Benennung des Genozids durchringen - doch damit stellen sie sich nicht gegen die Vormacht Israels in Palästina, sondern die besonderen Methoden Israels, diese zu erreichen. Auch im Iran unterstützt die SP in der Theorie nicht die militärische Intervention zum Regime Change, doch sie fordern die Intensivierung der imperialistischen Offensive gegen den Iran auf anderen Wegen; vor allem Sanktionen. Die SP ist keinesfalls bereit, statt einer moderaten Grossdemonstration für einige partielle Forderungen der Palästina Bewegung ihre tatsächliche Macht aufs Spiel zu setzen. Noch weniger wäre sie zur Zeit bereit, tatsächlich eine anti-imperialistische Ausrichtung anzustreben und den militanten ausserparlamentarischen Kampf zu führen oder nur zu unterstützen, welcher genug Druck aufbauen könnte, um die Regierung zu einem Umdenken zu zwingen. 


Die Mobilisierung am 21.6. ist Ausdruck der partiellen Krise der schweizer herrschenden Klasse. Die Sozialdemokratie ist zweifelsohne zur Zeit das schwächste Glied in der Regierung, ihre Parteiführung am ehesten über die Basis und von der Bewegung unter Druck zu setzen. Ziel muss es sein, die palästina solidarische Basis von SP und Gewerkschaften in einen schärferen Widerspruch zu ihrer Führung zu bringen, sodass die enormen Ressourcen und Mobilisierungskraft dieser Organisationen die palästinensische Sache unterstützen können und ihre politische Ausrichtung auf einem breiteren Niveau angegriffen werden kann. Dafür müssen diese Massenorganisationen mit der Integration in das kapitalistische System und damit ihrer Strategie als bürgerlicher Führung der Arbeiter:innenbewegung brechen. Dies bedingt sowohl die zunehmende Agitation und offene Opposition der palästina solidarischen Basis dieser Organisationen als auch die Kooperation mit der palästinensischen Bewegung aufgrund gemeinsamer Forderungen und Methoden.

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