top of page

Feministischer Streik

Während die Staaten Europas von feministischen Wellen erschüttert wurden, schien die Schweiz friedlich auf unbestreitbaren patriarchalischen Ideen zu verharren. Jedoch sollten wir daraus nicht schliessen, dass die schweizer Arbeiterinnen* zufriedener waren mit der doppelten Ausbeutung, derer sie Opfer waren: die Ausbeutung ihrer Lohnarbeit durch das Kapital und die Hausarbeit im Dienste des Ehemannes, Vaters etc. Als 1971 endlich auf Bundesebene das Wahl- und Stimmrecht für Frauen* eingeführt wurde, wurde das Gegenteil bewiesen. Dieser Kampf konnte nur durch Mobilisierungen der Frauen* auf der Straße, durch Demonstrationen und Streiks, zum Sieg geführt werden. Diese für den schweizer Feminismus - der zuvor von der liberalen Bourgeoisie, vom liberalen Feminismus angeführt worden war - beispiellose Taktik  entstand im Zuge einer allgemeinen Radikalisierung, die sogar die ansonsten so isoliert scheinende Schweiz traf.  Eine allgemeine Radikalisierung, die als langfristige Folge der 68er-Bewegung verstanden werden muss. Dieser ungeheure Elan des feministischen Kampfes war  also die Folge einer günstigen internationalen Dynamik.

 

Auch im Jahr 2019 erlaubte #MeToo einen Sprung im Bewusstsein der FINTA*s. Viele konnten damals über die Gewalt sprechen, welche so viele von uns tagtäglich erfahren - ja die sexistische Gewalt erlangte ungekannte Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite wurden diese Gewalttaten nicht als isolierte Handlungen verstanden, sondern als das Produkt eines Systems, das FINTA*s wenig Achtung entgegenbringt. FINTA*s auf der ganzen Welt wurden sich so vermehrt der sexualisierten Gewalt bewusst, die durch das Patriarchat verursacht wird und auf globaler Ebene orchestriert wurde. Marxist:innen sollten sich immer des globalen Charakters der Frauen*befreiung bewusst sein, doch ein solches Bewusstsein kann sich nur in in der Masse der Arbeiterinnen* durchsetzen durch eine kollektive Mobilisierung und Organisierung. Eine solche stellte der feministische Streik vom 14. Juni 2019 dar, welcher um Ursprung auf ein Komitee von nur 200 Frauen* zurückgeht.

 

Das feministische Streikkomitee arbeitete im Zuge dieser Mobilisierungen ein Manifest aus, welches weit über das Bewusstsein von #MeToo hinausgeht. Sexuelle und sexistische Gewalt wird darin nicht vom Rest des Gewebes der sozialen Unterdrückung getrennt. Im Gegenteil, dieses Manifest zeigt ein tiefes Verständnis der Situation der Arbeiterin*, insbesondere ihrer wirtschaftlichen Situation. Ebenfalls werden die Frauen* darin nicht homogen betrachtet, sondern auch in der Schichtierung des Geschlechts, in der Möglichkeit,  dass eine Frau* LGBTQ+, rassifiziert oder behindert (etc.) ist. Auch verfassten Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, welche einfachen Zugang zum Streik hatten, während des Streiktags Manifeste zu und stellten gemeinsam öffentlich Forderungen für ihre Mitstreiter*innen.

 

Der feministische Streik ist außergewöhnlich, weil er die enge Beziehung zwischen dem Befreiungskampf der Frauen* und demjenigen der Arbeiter:innenklasse zeigt. Es handelt sich daher auch um einen Kampf, der für die gesamte Dynamik des Klassenkampfes als Ganzes enorme Wichtigkeit besitzt. 

 

Trotz der Präsenz von 500'000 Menschen auf den Straßen in jeder Ecke des Landes wurden nur zwei der Forderungen dieses Manifests erfüllt: die Ehe für alle und eine Rentenerhöhung. Keine der anderen sehr guten Forderungen konnten erkämpft werden. Schwerpunkte der Forderungen sind Lohngleichheit, Arbeitszeitverkürzung, Anerkennung und gerechte Teilung von Hausarbeit, Selbstbestimmung über den eigenen Körper (insbesondere queers), Beseitigung von Rassismus, Sexismus und LGBTQ+-phobie, etc. Der Grund, warum die Bewegung keine Früchte getragen hat, ist, dass sie nicht reifen konnte. Ein Streiktag ist bemerkenswert. Aber um alle Forderungen wirklich durchsetzen zu können, muss die Mobilisierung verlängert werden - so dass jeder Tag ein neuer Sektor gelähmt wird, dass jede Stunde größere Massen in den Kampf um ihre Rechte und Befreiung gebracht werden. Und ebenso müssen auch die Methoden verschärft werden mit echten militanten und radikalen Streiks, ergänzt durch andere Kampfformen. Die Führung der Bewegung, v.a. die Gewerkschaftsführungen und die Sozialdemokratie, konnten die Massen der Frauen* nur enttäuschen, die sie für den Streik mobilisierten und mehr wollten. Statt die Bewegung auszuweiten, waren sie geblendet vom Arbeitsfrieden und den nächsten Wahl- und Abstimmungsterminen. Ihnen fiel nichts besseres ein, als die gesamte Energie der Streikenden verpuffen zu lassen, indem sie nicht über einen einzelnen symbolischen Streiktag hinausgingen.

 

Offensichtlich war die Bewegung so nicht in der Lage, die erhofften Erfolge zu erzielen. 2022 wurde die Konterreform AHV21 an der Urne knapp akzeptiert, wodurch das Rentenalter für Frauen* um ein Jahr stieg. Die Gegenoffensive der Bourgeoisie kommt genauso schnell, wie der feministische Streik sich zurückzieht. Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen, konnte der Streik 2023 wieder 300'000 Menschen mobilisieren.

 

Der Kampf um die Befreiung der FINTA*s ist ein gerechter Kampf, dem der feministische Streik nicht ganz gerecht werden kann. Seine Führung besteht hauptsächlich aus Menschen, die die Kraft der Bewegung nicht verstärken wollen. Daher muss die machtlose Strategie, die sie geleitet hat, überarbeitet werden. Wir müssen die Strategie des Arbeitsfrieden bekämpfen, welcher sich scheinbar auf die Arbeiter:innenbewegung reduziert. Doch über die Gewerkschaften und die lebendige Dynamik des Klassenkampfes ist die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung tief verbunden mit allen Bewegungen von Teilen dieser Klasse gegen ihre soziale Unterdrückung. So geht beispielsweise der Frauen*kampftag (heute: feministischer Kampftag) am 8. März auf die Arbeiter:innenbewegung und die russische Revolution zurück. Und dies vernachlässigt nicht die Tatsache, dass entscheidende Teile dieser Kämpfe sich gegen das konservative Bewusstsein der privilegierten Arbeiter:innenklasse und deren Parteien und Verbände richtete - dies ist und bleibt ein wichtiges Terrain. Durch die Verbindung der Führung der Arbeiter:innen- und feministischen Bewegung v.a. in den Gewerkschaften müssen wir aber nicht nur gegen sexistisches, rassistisches (etc.) Bewusstsein ankämpfen, sondern auch gegen die Mitverwaltung des Kapitalismus - und damit der Mitverwaltung der Ausbeutung der schweizer Arbeiter:innenklasse und damit besonders der FINTA*s. Die Strategie des Arbeitsfriedens muss gebrochen werden, um dem feministischen Streik die nötige Militanz zu geben, dass dieser auch sein Ziel der vollständigen Aufhebung alles sozialer Unterdrückung erreichen kann.  Militante Aktivist:innen in den Gewerkschaften müssen sich eine Führung aneignen, welche militant kämpft und mit dem Arbeitsfrieden bricht - und sobald in den Gewerkschaften eine Mehrheit der Basis für eine solche Position gewonnen und die Führung ersetzt werden kann, muss diese der strengsten demokratischen Kontrolle unterliegen. Wir müssen den konkreten Kampf in den Mittelpunkt stellen und es ablehnen, nur Druck bei den Wahlen zu machen. Wir müssen die Verschärfung und Erweiterung der Bewegung fordern. Es muss gelingen, die männlichen Arbeiter in einen gemeinsamen Kampf zu ziehen, damit der feministische Kampf effektiv geführt werden kann. Das bedeutet nicht, die Führung des feministischen Streiks den Männern zu überlassen. Wir brauchen ein kohärentes Aktionsprogramm, welches feministische Forderungen (für FINTA+s, LGBTQ+, rassifizierte Personen, Personen mit einer Behinderung usw.) mit Taktiken und Programmen des Klassenkampfes verbindet, dessen Umsetzung zur Befreiung der Arbeiter:innen und speziell ihrer marginalisierten Schichten führen wird.

 

Deshalb schlagen wir folgende Forderungen vor, die in der konkreten Bewegungen diskutiert werden sollen. Das Ziel ist es, klare Forderungen zu stellen, die nicht nur das “Was”, sondern auch das “Wie” des Kampfes erforschen.

 

1. Zuallererst müssen wir das Renteneintrittsalter von Frauen* verteidigen. Die Anhebung auf 65 ist nicht nur ein frontaler Angriff auf den Lebensstandard von Frauen*, sondern auch ein Rammbock gegen die Arbeitsbedingungen der gesamten Arbeiter:innenklasse, angeführt von der Instrumentalisierung des Sexismus. Die Arbeiter:innenbewegung muss zusammen mit dem feministischen Streik eine militante Kampagne lancieren, um das Renteneintrittsalter zu verteidigen. Dieser Schlag gegen die Offensive der Bourgeoisie muss weiter gehen als die einfache Verteidigung vergangener Errungenschaften der Arbeiter:innenklasse. Die Produktivität der Arbeiter:innen ist beständig gestiegen, aber genauso das Rentenalter. Was für eine Gesellschaft muss beides erhöhen? Weiterhin fordern wir eine Volkspension fern den Fängen des Kapitals, mit vollen Vorteilen und Renten für Teilzeitarbeit.

 

2. Wir müssen die Erfolge an der Urne militant verteidigen. Die Umsetzung der Pflegeinitiative in den Händen des Bundesrat kann kein Fortschritt sein - wir müssen uns selber organisieren, um Druck auszuüben und letztlich die Macht zu erobern! Wir fordern, dass reproduktive Arbeit gesellschaftlich organisiert wird, anstatt in der Kernfamilie aufgeteilt zu werden. Wir wollen Komitees an den Arbeitsplätzen etablieren, welche die Arbeit der Kindererziehung (und andere reproduktive Arbeiten, welche in der Familieneinheit geschehen wie z. B. die Betreuung älterer Eltern oder kranker Verwandten) öffentlich, unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse organisieren. 

 

3. Wir können uns weder auf wohlwollende Kapitalist:innen noch auf den Staat verlassen, um die lebenswichtige Arbeit, die hauptsächlich von mehrfach marginalisierten Menschen geleistet wird, angemessen zu würdigen und zu bewerten. Wir können das Problem auch nicht isoliert in der Familie lösen. Wenn patriarchale Strukturen einen systematischen Charakter haben, dann kann auch kein “guter” männlicher Partner alleine diese Unterdrückung aufheben. Um Raum für die reproduktive Arbeit zu schaffen,müssen wir die Arbeitszeit radikal verkürzen (7-Stundentag, 4 Tage die Woche) bei gleichbleibendem Lohn sowie eine Elternzeit fordern, welche FINTA*s am Arbeitsplatz nicht diskriminiert. Nur der gemeinsame Kampf der Arbeiter:innenklasse gegen Kapitalismus und Staat kann diese Forderungen durchsetzen. Und nur unter einer demokratisch geplanten Wirtschaft kann reproduktive Arbeit und deren ungleiche Verteilung langfristig angegangen werden. Soziale und ökologische Krisen wie COVID oder der Klimawandel werden die Notwendigkeit reproduktiver Arbeit nur vergrößern. Wir müssen dafür kämpfen, dass diese Krisen nicht auf Frauen*, queere Menschen und PoCs abgeschoben werden.

 

4. Es ist notwendig, dass alle Arbeiter:innen demokratisch entscheiden, welche Industrien wünschenswert für das Wohl aller sind und welche auf den Müllhaufen der Geschichte gehören. Wir wollen mehr reproduktive Arbeit besserer Qualität, was bedeutet: Etwas muss aufgegeben werden! Wir kümmern uns nicht um die Auto- oder Ölindustrie. Wir wollen keine fast fashion oder anderen Konsumwahn. Die Entscheidung darüber, welche Industrien am Leben erhalten werden sollen, muss demokratisch in Betriebs- und Stadtteilkomitees entschieden werden.

 

5. Wir wollen Delegierte von FINTA*s der Arbeiter:innenklasse in Organen der Arbeiter:innenkontrolle, welche in allen Betrieben garantieren, dass Lohngleichheit besteht, mit selbst bestimmten Kriterien. FINTA*s werden häufig schlechter bezahlt als Männer, ob aus Gründen von Diskriminierung oder wegen Teilzeitarbeit, um für ihre Familien zu sorgen. Arbeitende Frauen* werden sich nichts sagen lassen von bürgerlichen Ökonom:innen, welche ihnen weismachen wollen, dass ihre Notlage ein gerechtes und rationales Produkt einer „gerechten“ und „rationalen“ Gesellschaft ist, welche sie unterdrückt. Im Gegenteil, arbeitende Frauen* versuchen, die Gründe für ihr Mühsal zu verstehen, und entdecken die Irrationalität der Klassengesellschaft und ihrer patriarchalen Auswüchse – und werden sich radikal gegen alle stellen, welche dies als gegeben und als Notwendigkeit betrachten. Denn das ist es nicht: Schaut nur, wie gut es die Männer der Kapitalist:innenklasse haben! Ähnliche Methoden und Argumente können für PoCs und queere Menschen wiederholt werden.

 

6. Wir fordern, dass Betriebe, welche gegen die Gleichstellung verstoßen, ohne Kompensation aus den Händen der Besitzenden entrissen, verstaatlicht und unter Arbeiter:innenkontrolle weitergeführt werden.

 

7. Wir sind für die volle Selbstbestimmung der Frauen* über ihre Körper. Sie dürfen nicht sexistischer und sexualisierter Gewalt ausgesetzt sein, ob physisch oder verbal. Sie müssen fähig sein, alle Kleidungsstücke zu tragen, welche sie wollen – einen Rock, Hidschab oder Mini-Shorts, ohne sexistische oder herablassende Sprüche über sich ergehen lassen zu müssen. Frauen*, trans Personen (und auch Männer) verdienen eine gebührende Sexualerziehung, welche nicht nur heterosexuellen, sondern auch homosexuellen Sex und transgeschlechtliche Gesundheit umfasst. Das bedeutet auch eine Transformation der Gesundheitsversorgung rundum. Wir brauchen eine öffentliche Einheitskrankenkasse, welche das bedingungslose Recht auf Abtreibung, Menstruationsprodukte, Verhütung und geschlechtsbejahende Pflege umfasst, sowie einen Mechanismus, um gegen Sexismus und Rassismus im Gesundheitswesen anzukämpfen.

 

8. Für die Ausweitung der demokratischen Rechte, denn alle FINTA+ müssen so breit wie möglich Teilhabe an demokratischen Entscheidungen haben! Durch den Ausschluss eines grosszügigen Teils der Arbeiter:innen, v.a. in der Jugend, mit Mitgrationshintergrund oder wegen “Behinderung”, wird die patriarchale Ordnung im System zementiert, welche weisse, männlichgelesene Personen (etc.) privilegiert. Nur durch die Ausweitung des Wahl- und Stimmrechts auf alle Menschen über 16 Jahren, welche hier leben können wir noch im bestehenden System eine merkbare Verbesserung dieser Umstände erreichen. Doch die demokratischen Rechte der Arbeiter:innen müssen noch viel weiter gehen, auch wenn es in der Schweiz vielleicht numerisch ein paar mehr gibt als in anderen Staaten. Es muss auch für die Abwählbarkeit der “Volksvertreter:innen”, die Abschaffung der Privilegien für Politiker:innen und Lobbyist:innen sowie die Abschaffung des Ständerates gekämpft werden.

 

9. Es ist bekannt, dass die Polizei und das Militär sehr sexistisch, rassistisch und queerphob sind. Diese Institutionen sind unrettbar. Es sind ihre Merkmale unter dem Kapitalismus. Frauen* müssen unterdrückt werden, um sie in ihrer Rolle als unbezahlte und über-ausgebeutete Arbeiter:innen zu halten. Deshalb kann die Polizei Beschwerden sexualisierter Gewalt nicht ernst nehmen, vergewaltigen eindringende Armeen Frauen* und ihre Töchter. Diese Institutionen sind faul und müssen komplett abgeschafft werden; angefangen damit, ihre Finanzierung zu kappen. Wir wollen sie ersetzen mit Körperschaften bewaffneter und organisierter Arbeiter:innen: Arbeiter:innenmilizen, welche die Herrschaft des Proletariats und aller marginalisierten Gruppen durchsetzen und damit eine offene Gegenmacht gegen die Herrschaft der bürgerlichen Polizei und Armee darstellen.

 

10. Der Kampf für einen feministischen Streik, der zu einem umfassenden politischen Streik gegen die Rentenreform und für andere Forderungen wird, ist ein integraler Teil des Klassenkampfes. Doch um eine solche Perspektive durchzusetzen, müssen wir in den Gewerkschaften und in der Bewegung auch für den Aufbau einer neuen revolutionären Arbeiter:innenpartei als Alternative zu Reformismus und Bürokratie eintreten, die den Kampf für die Frauen*befreiung mit dem für die sozialistische Revolution verbindet.

bottom of page