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Offener Brief an die RKP und die Streikkomitees: Wie kommen wir zum Unistreik?

Autorenbild: Gruppe Was Tun?Gruppe Was Tun?

Aktualisiert: 18. Dez. 2024

An die Mitglieder der RKP und die Aktivist*innen der Streikkomitees


Liebe Genoss*innen


Wir begrüssen eure Ambition, den Kampf gegen den Genozid an den Palästinenser*innen auf ein neues Level zu bringen. Eure Kampagne zu “Schul- und Unistreiks gegen Genozid und Imperialismus” birgt unserer Meinung nach gute und wichtige Impulse für die Palästina-Bewegung. Um die positiven Aspekte kurz zusammenzufassen:


  1. Das Programm, welches ihr für eure Kampagne aufgestellt habt, verbindet den Kampf gegen die materielle Unterstützung Israels durch Schweizer Universitäten (in der Essenz Hauptforderung der bestehenden Studierendenbewegung) mit einem breiteren Kampf gegen den Imperialismus und die Repression sowie mit den materiellen Interessen der Studierenden - eine Verbindung, die notwendig ist für eine effektive Student*innenbewegung. Wir begrüssen eine solche programmatische, explizite Verbindung dieser Themen, denn sie sind inhärent verbunden, und dies programmatisch klar zu formulieren, fördert das Verständnis der Aktivist*innen in der Kampagne über den Rahmen unseres Kampfes und definiert ihn gegen aussen.

  2. Die Methode des Streiks ist fortschrittlich, denn sie ist die effektivste Methode, mit der die Bewegung Druck ausüben und Forderungen erzwingen kann. Ausserdem erlauben Streiks es Studierenden, ihre Macht im bestehenden System aus ihrer gesellschaftlichen Position heraus zu erkennen und auszuüben, und die Selbstorganisierung weist bereits auf die Notwendigkeit der demokratischen Verwaltung der Universitäten durch die Arbeiter*innen und Student*innen hin. Dies fördert das Klassenbewusstsein proletarischer Studierender und potenziell die Verbindung der Studierendenbewegung mit der organisierten Arbeiter*innenklasse. Eine Verbindung, die notwendig ist, wenn unsere Bewegung sich effektiv dem Genozid entgegenstellen will. Darüber hinaus macht ihr den Versuch, den Kampf aktiv an die Schulen zu tragen, eine notwendige Voraussetzung dafür, dass auch Schüler*innen in den Kampf integriert werden können.

  3. Im Grundsatz stimmt auch die These, welche ihr seit Beginn der Mobilisierungen der Studierendenbewegung im Mai aufstellt: für einen erfolgreichen Kampf, der die Forderungen der Studierendenbewegung vollumfänglich durchsetzen kann, ist die Mobilisierung breiter Massen und ihr aktives Miteinbeziehen unumgänglich.


Wir wollen bekräftigen, dass wir mit der folgenden Kritik nicht die Absicht haben, die Idee oder die Kampagne des Streiks und die Mobilisierung gegen den Imperialismus zu untergraben. Wir teilen eure Ansicht wie auch euer Anliegen, die Methoden der Palästina-Bewegung auszuweiten. Doch glauben wir, gleichzeitig auf tiefgreifende Fehler in eurer Herangehensweise aufmerksam machen zu müssen. Dies soll sowohl in der RKP als auch in der Studierendenbewegung das Verständnis darüber heben, wie die Studierenden über einen Streik ihre Forderungen erkämpfen können und welches Programm dafür notwendig ist.

Unser zentraler Kritikpunkt besteht darin, dass die Kampagne der “Schul- und Unistreiks gegen Genozid und Imperialismus” letztlich eine reine RKP-Kampagne ist. Diese Isolierung der Kampagne kann nicht allein aus dem fehlenden Bewusstsein in der Studierendenbewegung erklärt werden, sondern ist selbst auferlegt und zeugt von einem engen Horizont der RKP in der Sicht auf die Studierendenbewegung. Das isolierte Ausrufen einer eigenen Kampagne widerspiegelt dabei unserer Meinung nach die generelle Herangehensweise der RKP gegenüber der Palästina-Bewegung (und auch gegenüber anderen Bewegungen) - eine Herangehensweise, die leider zu oft dazu führt(e), dass die RKP in der Bewegung als Fremdkörper wahrgenommen wurde/wird, und so die inhaltlichen politischen Punkte in den Hintergrund rücken. Wir fassen die Gründe für diese Schlussfolgerung zusammen:


  1. Eure Intervention in die Studierendenbewegung, spezifisch auch mit dieser Kampagne, war völlig uneinheitlich. Nicht nur habt ihr dort, wo ihr euer Vorhaben vorgestellt habt, keine Mehrheiten erhalten – was möglicherweise anders gewesen wäre, wäre man von Anfang an konsequenter mit mehr Genoss*innen solidarisch in der Bewegung aktiv gewesen – (und es dann als Blockade durch die “ungewählte Führung” dargestellt), sondern an anderen Orten gar nicht erst zur Diskussion gebracht. Es ist klar, dass der Kampagne in eurer Partei eine Diskussion vorausging, welche ihr aber nicht in oder mit der bestehenden Bewegung geführt habt. Vielmehr habt ihr eure Schlussfolgerung vorweggenommen, damit weite Schichten der Bewegung entfremdet und euer Vorschlag wurde als von aussen in die Bewegung eingebracht wahrgenommen.

  2. So stand von Anfang an das Programm der Kampagne fest. Es wurde von der RKP beschlossen, nicht von der Bewegung oder offenen demokratischen Organen der Kampagne (bspw. das erste nationale Vernetzungstreffen), in Diskussion mit den bestehenden Kollektiven und anderen revolutionären Gruppen, die man hätte einladen können. Gerade für kleine, isolierte Kräfte der Kommunist*innen ist es wichtig, ein Programm und eine Strategie durch geduldige Diskussion in der breiteren Bewegung zu vermitteln und die Aktivist*innen von den Vorschlägen zu überzeugen. Das wird nicht gemacht, indem Strategie und Programm der Bewegung einfach von aussen aufgedrängt werden. Natürlich dürft und sollt ihr eure unabhängigen politischen Positionen und Programme haben, doch wenn diese die Grundlage der isoliert ausgerufenen Streik-Kampagne darstellen, werdet ihr dem Anspruch einer breiteren Kampagne nicht gerecht. Und so dürfte es sehr schwierig werden, Aktivist*innen für eure Kampagne zu gewinnen.

  3. Ihr behauptet, eure Kampagne sei für alle Palästina-solidarischen Kräfte offen. Doch offensichtlich habt ihr alle Vorkehrungen dafür getroffen, dass die RKP-Führung auch fest im Sattel der Führung dieser Kampagne ist und bleibt. An eurem ersten nationalen Vernetzungstreffen waren keine anderen Kräfte eingeladen, die Tagesordnung und die Moderation wurden von der RKP festgesetzt, und es wurde offen gesagt, dass eure Zeitung als Vehikel zur Mobilisierung dieser Kampagne dienen soll. Ihr habt zwar demokratische Entscheidungen getroffen, doch wenn grossmehrheitlich Mitglieder und Kontakte der RKP anwesend sind (da die Veranstaltung aufgrund ihrer Beschränkung durch die RKP selber kaum jemand anderes mobilisiert hat), kann weder anderen Meinungen Platz gemacht werden im Sinne einer solidarischen Diskussion, noch gibt es die Möglichkeit die durch die RKP vorherbestimmten Beschlüsse zu verändern. So agiert ihr selbst als eine “selbsternannte Führung”, wie ihr es der Studierendenbewegung vorwerft. Das alles macht es nicht attraktiv für andere Aktivist*innen, Organisationen und Gruppen, sich eurer Kampagne anzuschliessen.


So geht die Kampagne faktisch an der Avantgarde der Palästina-Bewegung vorbei. Sie gleicht mehr einer Rekrutierungskampagne der RKP als einem wirklichen Effort der Massenmobilisierung. Und warum sollten Aktivist*innen der Palästina-Bewegung für die RKP Mitglieder rekrutieren wollen? 


Auch andere Aspekte der Kampagne waren bestenfalls suboptimal und schlechtestenfalls problematisch, definitiv aber führten sie dazu, dass sich in der Palästina-Bewegung an den Universitäten noch mehr Unmut auf die RKP richtete. So wurden in einem RKP-Artikel Spenden für die 40 infolge der ETH-Besetzung angeklagten Personen gesammelt (von denen 2 Genoss*innen der RKP und 3 Genoss*innen unserer Gruppe Was Tun? sind). Intransparent blieb jedoch, was mit diesen Spenden geschehen würde – sowohl für Leser*innen als auch für die 40 Angeklagten und ihre legale Repräsentation selbst, mit denen nichts abgesprochen wurde. Genoss*innen der RKP versicherten uns zwar, dass diese Spenden den Angeklagten zugutekommen sollten, wer aber sollte das kontrollieren? Ausserdem wurde im selben Artikel quasi im Namen der 40 Angeklagten verlautbaren lassen, dass man die allfälligen Strafen nicht annehmen, sondern bekämpfen würde – ein Entschluss, der so keineswegs von der Mehrheit der Angeklagten gefasst worden war. Wiederum operierte man an der Bewegung und den Aktivist*innen vorbei, anstatt mit ihnen diese Diskussionen zu führen und gemeinsame Beschlüsse zu fassen.



Zurück zur Streik-Kampagne der RKP: Wir schlagen folgende Punkte vor, um die Streik-Kampagne auszuweiten und zu präzisieren:


  1. Die Streikkomitees müssen sich der Aufgabe stellen, eine wirkliche Bilanz über die Studierendenbewegung seit Mai zu ziehen. Dies kann nicht gemacht werden, indem die RKP alle Schlussfolgerungen schon vorwegnimmt. Es ist elementar, dass in dieser Diskussion auch die Aktivist*innen und Gruppen anwesend sind und mitwirken, die in den verschiedenen Regionen die Bewegung getragen haben (also die Studierenden-Kollektive). Eine solche Bilanz kann nicht nur der Bestrebung eines Streiks zuarbeiten, sondern auch der Bewegung als Ganzes weiterhelfen. Fokus müssen Erfolge und Probleme auf programmatischer (Forderungen, Strategie), methodischer (Besetzungen, Teach-Ins etc.) und organisatorischer Ebene sein, sodass Ausmass und Limitierung der Bewegung verständlich gemacht werden können.

  2. Auf dieser Basis müssen das Programm und die Methoden der gesamten Bewegung weiter gebracht werden. Wie schon erwähnt geben wir euch völlig recht, wenn ihr bemerkt, dass die Bewegung bisher nicht genügend Druck auf die Unileitungen erzeugen konnte. Ob ein Streik solchen Druck aufbauen kann, hängt von den Dynamiken der breiteren Bewegung und der Studierendenschaft ab. Dieselbe Streik-Kampagne eurer kanadischen Partei hat schon verschiedene Kampfmethoden angewendet (bspw. Walk-Outs), um eine solche Dynamik anzuregen. Es sollte eurer Strömung also bewusst sein, dass verschiedene Methoden diesen Prozess voranbringen können. Um aber diesen Prozess in der gesamten Bewegung und nicht nur in euren eigenen Komitees zu fördern, müsst ihr bereit sein, euer Sektierertum abzulegen und auf dem bestehenden Programm der Bewegung in dieser mitzuarbeiten. 

  3. Dabei muss der Charakter der Bewegung als Bewegung erhalten bleiben, und sie kann nicht vereinnahmt werden durch nur eine organisierte Kraft in ihr. Es liegt in der Natur von Bewegungen, dass verschiedene Kräfte und Ideologien in ihnen präsent sind. Die Aufgabe von Marxist:innen in solchen Bewegungen ist es nicht nur, in ihnen für ihr eigenes Programm zu werben, sondern auch, aus den bestehenden Kräften die beste Form der Vereinigung und der gemeinsamen Aktion zu finden. Es ist elementar, dass sich die Studierendenbewegung besser mit der bestehenden pro-palästinänsischen Bewegung vernetzt, und auch mit weiteren emanzipatorischen Bewegungen und der radikalen Linken (all dies passiert schon, aber bisher noch beschränkt und isoliert). Dies funktioniert jedoch nur durch eine Vereinigung und Strukturierung der Bewegung selbst. Gerade als organisierte Kraft, wie die RKP eine darstellt, wäre es deshalb elementar, sich in den verschiedenen Kollektiven und Organisationen der Palästina-Bewegung zu vernetzen (bspw. in den verschiedenen Kollektiven/Komitees, in den Studierendengruppen oder im Schweizer Netzwerk von Gewerkschaft:innen für einen Waffenstillstand in Gaza), anstatt nur dort zu sein, wo Mitglieder gewonnen werden können.


Wir hoffen, dass die Führung und die Basismitglieder der RKP sowie Aktivist*innen der Streikkomitees diese Kritik und Anregungen ernst nehmen, und sind gerne bereit, mit allen Kräften in- und ausserhalb der Streikkomitees zu diskutieren, wie wir die Palästina-Bewegung voranbringen und zu einer Bewegung umgestalten können, die sich dem unglaublichen Leid in Palästina und dem westlichen Imperialismus insgesamt erfolgreich entgegenstellen kann. 


Mit solidarischen Grüssen


Gruppe Was Tun


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