Kurierdienst der FWG vor dem Aus – Für den Widerstand aller Kurier:innen!
- Ernst Stierlin
- 28. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 29. Okt.
Entlassungen bei der FWG
Am 1. November wird der hauseigene Kurierdienst der Familie Wiesner Gastronomie (FWG) eingestellt. Die FWG betreibt fünf Restaurantketten - Nooch, Negishi, Miss Miu, Kitchen Republic und Outback Lodge - mit insgesamt 29 Standorten in der Schweiz. Von der Schliessung sind rund 120 Kurier:innen betroffen, die meist nur zu 25 % angestellt sind, aber dennoch einen wesentlichen Teil der FWG-Belegschaft bilden (insgesamt rund 750–1000 Beschäftigte).
Am 30. Juni erfuhren die Kurier:innen von der geplanten Schliessung. Auf Eigeninitiative, teils mit Unterstützung der Gewerkschaft Syndicom, organisierten sie sich, um gemeinsam zu reagieren. Nach anfänglicher Verweigerungshaltung eröffnete die FWG Ende August ein Konsultationsverfahren. Erst nach einer öffentlichen Mobilisierung am 15. September - einer Kundgebung vor der Kitchen Republic in Zürich - zeigte sich der Betrieb gesprächsbereit und kündigte an, einen Sozialplan zu verhandeln. Diese Verhandlungen laufen nun – hinter verschlossenen Türen.
Der globale Klassenkampf der Kurier:innen
Der Angriff auf die FWG-Kurier:innen ist kein isoliertes Ereignis, sondern Teil eines internationalen Klassenkampfs gegen die Beschäftigten im Liefersektor.
Am 20. Oktober demonstrierten in Zürich Uber-Fahrer:innen gegen die zunehmende Konkurrenz durch die Plattform Bolt. Drei Tage später traten in Berlin die Lieferando-Kurier:innen in den Streik – organisiert durch das Lieferando Workers Collective und die Gewerkschaft NGG. Auch bei Lieferando sollen rund 2000 Stellen abgebaut und der Lieferdienst ausgelagert werden – derselbe Prozess, den wir nun bei der FWG sehen. Denn der Kapitalismus organisiert heute die Ausbeutung der Arbeitskraft international. Uber, Takeaway.com und Bolt kämpfen um Marktanteile. Sie betreiben den Preiswettbewerb auf Kosten der Löhne, der Arbeitsbedingungen – und nicht zuletzt der Gesundheit der Arbeiter:innen.
Plattformlogik und Ausbeutung
Seit den Lockdowns ab 2020 erlebte die Lieferbranche einen Boom. Möglich wurde er durch das Plattformmodell: Die Unternehmen umgehen das Arbeitsrecht, indem sie Arbeiter:innen als „Selbständige“ deklarieren. In Wahrheit sind die Arbeiter:innen allerdings keineswegs “selbständig”, sondern vollkommen abhängig – ohne Lohnfortzahlung, ohne Sicherheit und ohne jegliche Mitbestimmung. Die Folge sind schlechte Arbeitsbedingungen und keine Arbeitsgarantie - auch in der Schweiz müssen Kurier:innen bei Uber Eats während den Stosszeiten ständig verfügbar sein, um vom Lohn auch nur annähernd leben zu können. Diese Form der Plattform zur Vermittlung einzelner Aufträge (statt fixer Arbeitszeiten) war von Anfang an nur möglich durch die Ausnutzung von arbeitsrechtlichen Grauzonen. Nicht überraschend ist, dass diese strukturelle Prekarität vor allem migrantische und rassifizierte Arbeiter:innen trifft, die auf dem regulären Arbeitsmarkt ausgegrenzt sind.
In der Schweiz hat zwar das Bundesgericht Uber-Fahrer:innen als Angestellte anerkannt, doch der Föderalismus verhindert eine schweizweite Umsetzung. Während in Genf der kantonale Mindestlohn gilt, bekämpfen die bürgerlichen Kräfte in Zürich oder Luzern solche Regelungen aktiv und bisher erfolgreich.
Gewerkschaften zwischen Sozialpartnerschaft und Klassenkampf
Die Syndicom spielt – wie viele Gewerkschaften – eine ambivalente Rolle. Einerseits ist sie die einzige organisierte Kraft, die Kurier:innen großflächig organisieren kann und ihnen mit ihrer institutionellen Macht beisteht. Andererseits bindet sie den Kampf an die Grenzen der Sozialpartnerschaft. Anstatt die Arbeiter:innenbasis zu mobilisieren, werden gutbürgerliche Verhandlungen angestrebt. Und insbesondere die grossen Entscheidungen treffen dabei die Gewerkschafts-Funktionär:innen - die Basis der Kurier:innen wird über die eine oder andere Kampfhandlung befragt, aber nicht über die weiteren strategischen Implikationen des Kampfes. Das Ergebnis: Passivierung der Belegschaft. Die Gewerkschaft verkommt zur Vermittlerin sozialer Befriedung, statt zur organisierten Kampforganisation der Arbeiter:innenklasse.
Der Streik bei Smood 2021 in der Westschweiz war ein Beispiel: ein Fortschritt, weil er zeigte, dass sich Kurier:innen organisieren und so Verbesserungen erkämpfen können – aber der aus dem Streik resultierende Gesamtarbeitsvertrag blieb auf ein einziges Unternehmen beschränkt. Zweifellos ein Erfolg für die Smood Kurier:innen, aber ohne Ausstrahlung auf die gesamte Branche.
Die Schliessung des FWG-Kurierdienstes ist kein Betriebsunfall, sondern Ausdruck kapitalistischer Rationalisierung. Der Lieferdienst war für die FWG nicht rentabel – also wird er ausgelagert. Profit vor Menschen. Die FWG bleibt profitabel (rund 100 Mio. CHF Umsatz jährlich). Doch der Druck der Konkurrenz zwingt sie, unprofitable Arbeitsbereiche wie das Unterhalten eines eigenen Lieferdienstes abzubauen und an Plattformen wie Uber Eats oder Just Eat zu übergeben. Trotzdem die Margen für Restaurants bei Uber Eats und Just Eat knapp sind, können gerade grosse Ketten (wie die FWG) mit viel Umsatz diese besser verkraften, als kleinere Restaurants und Imbissbuden. Die Bedingungen können sich über bestimmte Modelle sogar verbessern.
Diese Tendenz ist Teil eines „Race to the Bottom“, angetrieben durch die Logik der Kapitalverwertung und durch das Finanzkapital der Grossinvestoren wie BlackRock, Vanguard und JP Morgan, die in allen grossen Plattformfirmen Anteile halten. Die Preise in den Restaurants müssen möglichst tief sein, genauso die Liefergebühren und sonstige Aufschläge. Sowohl die Kurier:innen selbst werden massiv ausgebeutet, aber auch die Angestellten kleiner Restaurants. Auch die Restaurantbranche wird umstrukturiert: durch das Erschliessen des neuen Marktes mit der Liefer-Plattform wird die Arbeitskraft in der Küche nochmals intensiviert. Ein bemerkenswertes Beispiel sind die “Ghost Kitchen”. In der Schweiz “betreibt” bspw. die Firma Future Kitchens AG solche Ghost Kitchens. Dort werden aus der Küche eines asiatischen Restaurants bspw. auch Smash Burger verkauft - die Arbeitskraft der Restaurantmitarbeiter:innen wird effizienter ausgebeutet, da der Mittelmann Future Kitchens neue marginale Marktlücken finden kann. Die FWG steht also exemplarisch für die Zerstückelung der Arbeit und die totale Flexibilisierung der Arbeitskraft.
Doch der Widerstand beginnt sich zu formieren. Die Kurier:innen sind jung, migrantisch, prekarisiert – und sie beginnen zu begreifen, dass sie keine Anhäufung von Einzelfällen, sondern Teil einer globalen Arbeiter:innenklasse sind. Und sie merken: Um bessere Arbeitsbedingungen und ein faires Leben durchzusetzen, gibt es nur einen Weg – sie müssen sich gemeinsam gegen ihre Ausbeuter organisieren.
Unsere Forderungen
Volle Erfüllung der Forderungen der FWG-Kurier:innen! Keine Entlassung ohne fairen Sozialplan – und nur mit Zustimmung der Betroffenen.
Solidarität mit den FWG-Kurier:innen!Organisation von Liefer- und Konsumboykotts, um extern Druck auf die FWG zu machen, um die Forderungen der entlassenen Arbeiter:innen vollumfänglich zu erfüllen.
Keine faulen Kompromisse der Syndicom!Kein Abschluss hinter verschlossenen Türen – volle Transparenz und demokratische Kontrolle durch die Basis.
Organisierung der gesamten Kurierbranche!
Für einen Vertrag bei Uber Eats!Die Kurier:innen können sich nicht effektiv organisieren und wehren, wenn sie durch ihre Arbeitsbedingungen so drastisch gespalten sind! Die Gewerkschaften müssen politische Kampagnen aufnehmen, welche Uber zu rechtlich verbindlichen Arbeitsbedingungen für ihre Fahrer:innen zwingt!
Recht auf Streik und Existenzsicherung!Erkämpfung einheitlicher, schweizweiter Arbeitsbedingungen – ohne Friedenspflicht. Umsetzung eines verbindlichen Mindestlohns für alle Plattformarbeiter:innen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Für einen Mindestlohn von 25CHF pro Stunde und 4000CHF pro Monat (bei einer Vollzeit-Beschäftigung), angepasst an die Teuerung. Für sichere Arbeitsbedingungen, Lohn soll nach aktiver Zeit auf der Plattform ausgezahlt werden, nicht pro erfüllten Auftrag!
Öffnung der Geschäftsbücher! Wenn die Lieferkonzerne behaupten, sie können keine besseren Löhne zahlen, wollen wir es besser wissen! Kurier:innen müssen Einsicht in Umsatz und Profit pro Lieferung erhalten, um sich ein eigenes Bild zu machen und besser für ihre Rechte kämpfen zu können.
Für die Verstaatlichung der Lieferbranche unter Arbeiter:innenkontrolle!Unter der kapitalistischen Profitlogik werden Löhne und Arbeitsbedingungen bei der erstbesten Gelegenheit gedrückt und angegriffen. Nur wenn die Arbeiter:innen in der Lieferbranche und der Restaurantbranche, Schweizweit und International die Macht über die Wirtschaft und Politik erlangen, kann eine Produktion und Verteilung auf Basis der Bedürfnisse der Menschen und der Natur, statt dem Profit einiger weniger Kapitalist:innen, gestaltet werden.
Die Entlassungen bei der FWG sind ein Symptom des kapitalistischen Normalzustands: Profit über Menschen. Doch der Kampf der Kurier:innen kann und muss Ansporn einer neuen Welle der organisierten Klassenkämpfe in der Schweiz sein. Die Interessen der Arbeiter:innen können nur durchgesetzt werden, wenn wir uns aktiv als Beschäftigte organisieren und demokratisch über Vorgehen und Forderungen im Arbeitskampf entscheiden - und wenn wir statt auf faule Kompromisse mit den Ausbeutern uns organisieren und wirklich Druck aufsetzen durch Streiks. Deshalb kämpfen wir auch für eine antibürokratische, demokratische Opposition von unten in den Gewerkschaften.
Aber isolierte Kämpfe können nur Teilerfolge erringen; solange die kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse unangetastet bleiben, werden Angriffe auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen immer wieder neu beginnen. Daher muss der Arbeitskampf der Kurier:innen unter einer umfassenden Strategie, dem Kampf für die Überwindung dieser Ausbeutungsverhältnisse überhaupt, dem Kampf für die Machtübernahme durch die Arbeiter:innen, den Sozialismus, geführt werden. Und hierfür ist letztlich eine neue revolutionäre kommunistische Arbeiter:innen-Partei in der Schweiz notwendig, welche Kurier:innen, Bauarbeiter:innen, Care-Arbeiter:innen und alle unterdrückten und ausgebeuteten Schichten der Gesellschaft (Jugend, PoCs, Flinta*s etc.) verbindet und so die Entmachtung der Kapitalist:innenklasse und die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft ermöglicht.



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